Beginen: Wohn- und Lebensräume für Frauen.
Ein Beginenprojekt für Hannover?



Rundbrief PlanungsFachFrauen März 1999 (Kurzfassung)

Beim Januar-Themenabend der PlanungsFachFrauen stellte eine der Initiatorinnen, Ingeburg Preissler, die Ideen der „Initiativgruppe Beginenprojekt Hannover“ vor:




Lebendiges Altern - dem Leben zugewandt

„Wie möchte ich in meiner dritten Lebensphase leben? Wie kann ich wohnen, ohne ins Altersheim gehen zu müssen?“ Diese Fragen standen auch am Beginn der Initiativgruppe Beginenprojekt Hannover. Viele wünschen sich lebendiges Altern, möchten dem Leben zugewandt bleiben und sich „mitten im Leben“ fühlen können. Konkret ist damit gemeint:
  • generationsübergreifendes gemeinschaftliches Wohnen,
  • lebendige Nachbarschaft (Vertrautheit bei gleichzeitiger Möglichkeit der Abgrenzung),
  • durch neues Wohnen und Leben Anregungen und Impulse für neue Tätigkeiten und Erfahrungen, auch im Umgang mit sich selbst;
  • Lebensqualität bis zum letzten Atemzug;
  • Gewißheit, im Sterben von Freunden begleitet zu werden.

Vorbild: Das Bremer Beginenhofmodell

Dies ist ein Wohn- und Erwerbsprojekt für alleinstehende Frauen aller Altersstufen. Im April 1997 wurde ein Verein gegründet, zur konkreten Umsetzung im Juni 1997 eine Baugenossenschaft gebildet. Im Buntentorsteinweg-Viertel der Bremer Neustadt entsteht ein Neubau mit 60 Wohneinheiten – zur Hälfte als sozialer Wohnungsbau, zur Hälfte als Eigentumswohnungen. Geplant sind auch Einzelhandelsgeschäfte, Servicebüros, Praxen, Dienstleistungen aller Art, ein Frauenhotel mit Tagungsräumen etc. Der Bau beginnt im Frühjahr 1999. Finanziert wird das Projekt durch den Verkauf von Genossenschaftsanteilen, über den Sozialen Wohnungsbau und über privates Eigentum. Die gewünschte Streuung der Altersgruppen und die Einbeziehung von Migrantinnen soll durch Quotierungen erreicht werden. Das Bremer Beginenhofmodell ist ein Schlüsselprojekt der Agenda 21 und wurde von der EXPO 2000 zur Registrierung empfohlen. Ansprechpartnerin für die Öffentlichkeitsarbeit ist Dr. Erika Riemer-Noltenius, Telefon 0421/ 23 97 53.

Ein Beginenprojekt für Hannover –
keine simple Wiederholung mittelalterlicher Wohn- und Lebensformen

Einen Beginenhof hat es in Hannover schon einmal gegeben. Die heutige Initiativgruppe Beginenprojekt Hannover will natürlich keine mittelalterliche Gemeinschaft von frommen Frauen werden – aber sie möchte sich auf die Beginen beziehen, Inspirierendes übernehmen und Überholtes für sich anpassen.
Die Initiativgruppe Beginenhofprojekt wendet sich an alleinlebende Frauen aller Altersstufen, mit und ohne Kinder, mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund und Lebensstil. Inhaltlich soll das Projekt über Konfessionen und Parteien stehen.
Das Beginenhofprojekt will die Isolation und Einsamkeit alleinlebender Frauen überwinden und eine Alternative zu herkömmlichem Familienleben und Altersheim anbieten. In einer Art Wahlverwandtschaft soll autonomes Wohnen und zusammen Leben gleichermassen möglich sein.

Die Beginenhof - Initiativgruppe plant, unter einem Dach (bzw. in einem Stadtviertel) zu leben und zu arbeiten, in abgeschlossenen Wohnungen unterschiedlicher Größe sowie Gemeinschaftsräumen und einem Garten oder begrünten Innenhof. Vorgesehen sind auch Gewerbeflächen. Infolge der beabsichtigten Ansiedlung von Kleingewerbe (z.B. Café, Bistro, Servicebüro, Dienstleistungen aller Art, Frauenhotel o.ä.) sowie für die Haus- und Grundstücksverwaltung sollen Arbeitsplätze für Frauen geschaffen werden. Die räumliche Nähe soll gemeinschaftliche Aktivitäten, Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe erleichtern. Gegenseitige Unterstützung und Betreuung ohne finanzielle Aufrechnung sind ausdrücklich beabsichtigt. Die Vernetzung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit wird auch als Beitrag zur Umsetzung der Lokalen Agenda 21 verstanden.

Grundsätze der mittelalterlichen Beginen – übertragbar?

Sahen die Statuten des Beginenhofes Hannover 1441 vor, daß Männern kein Zutritt zu erlauben ist – „erst recht nicht verkleidet zur Fasnacht“ -, so haben die modernen Beginen andere Vorstellungen: Einziges Kriterium für die Bewohnerinnen soll sein, daß sie allein leben. Den Grundgedanken des „Leben durch der eigenen Hände Arbeit“ möchte die Beginen-Initiative übernehmen. Die Gemeinschaft soll sich in der Regel selbst finanzieren; sei es durch Berufstätigkeit, durch Altersversorgung oder ähnliches. Das ist auch als Fundament für das gewünschte „Leben nach selbstgegebenen Regeln“ zu verstehen. Im Gegensatz zu 1441, wo die hannöverschen Beginen sich zu einem christlichen Leben in Keuschheit, Gehorsam und Armut verpflichtet hatten (deren Einhaltung durch Stadtrat und Klerus pingelig überwacht wurde!), stellt sich die Initiative heute die Regeln des Zusammenlebens anders vor: ihre Leitgedanken sind Autonomie und Demokratie, das Konsensverfahren das Mittel ihrer Wahl.

Diskussion: Beginenidee und Beginenpraxis –
was ist übertragbar, was sollte neu dazu kommen?

In der Diskussion wurde vor allem der Bezug des geplanten Frauenwohnprojektes auf die Beginenidee thematisiert. Die historischen Beginen üben eine starke Faszination aus – ungeteilt scheint die Würdigung ihrer ökonomischen Unabhängigkeit und ihrer relativen Freiheit von der Obrigkeit. An der spirituellen Komponente der Beginenidee hingegen scheiden sich die Einschätzungen. Die mittelalterlichen Beginen wählten bewusst einen Mittelweg zwischen weltlicher und geistlicher Lebensführung; das Beginenleben war eine „spezifisch weibliche Frömmigkeitsform“. Auch aktuelle Beginenprojekte sehen sich teilweise als spirituelle Gemeinschaften. An die Stelle der Frömmigkeit tritt soziale und ökologische Verantwortung. Die Initiativgruppe Hannover lehnt eine ausdrückliche spirituelle Ausrichtung für sich ab.
Kann aber ein solches Projekt ohne spirituelle Seite überhaupt ein Beginenprojekt sein? Worin besteht dann der Unterschied zu einem „ganz normalen“ generationsübergreifenden Frauen-Wohnprojekt? Enthalten die Ideen der Beginen-Initiative Hannover - „soziale Verantwortung“ und „Nehmen und Geben“ - diese Seite nicht bereits – auch wenn sie nicht ausdrücklich benannt wird? Wenn es auch auf diese Fragen noch keine Antwort gab, ist doch deutlich geworden, dass die Initiative durch den Bezug auf Beginen gewinnt. Die Beginenidee regt zu Klärungen des Selbstverständnisses an, die über rein praktische Fragen hinausgehen; die Reibungspunkte provozieren zu Weiterentwicklung. Zudem ist der Begriff „Beginen“ äusserst positiv besetzt – Diskutantinnen verbanden damit nicht nur einen Sicherheit verleihenden Rahmen, sondern auch Fröhlichkeit und Lebenslust.
Verlockend erscheint auch das Bild einer „matriarchalischen Grossfamilie“, die durch das Zusammenleben mit (kleinen) Kindern entstehen kann. Gerade für Frauen, die selbst keine Kinder haben, ist es ein reizvoller Gedanke, im Zusammenleben mit Kindern Erfahrungen weitergeben zu können.

Herausgehoben wurde auch ein Vorteil, der durch die Einbeziehung des Wirtschaftens entsteht: die Möglichkeit für Rentnerinnnen, noch wirtschaftlich aktiv zu sein. Denkbar wäre auch die Verbindung mit einem Gründerinnenzentrum – das könnte eine ideale Synthese bilden.

Initiative Beginenprojekt Hannover – wie geht es weiter?

Ingeburg Preissler hatte bereits geklärt, welches die nächsten Schritte sein müssten - der Weg zum konkreten Beginenprojekt wird viel Arbeit, Zeit und Geld kosten. Beim Themenabend der PlanungsFachFrauen fanden sich fünfzehn Frauen, die an der Entwicklung eines Beginenprojektes für Hannover interessiert sind. Inzwischen haben sich noch weitere Interessierte gemeldet. Ein Beginenprojekt für Hannover scheint gute Aussichten zu haben! Wer selbst interessiert ist oder andere Interessierte kennt, möge sich jetzt melden, damit das Mögliche auch geschehen kann!

Ansprechpartnerinnen

  • Ingeburg Preissler, Wilhelmstr. 11, 30457 Hannover, Tel. 0511/ 46 13 39
  • Irma Kublun, Langensalzastr. 1, 30169 Hannover, Tel. 0511/ 988 62 01
  • Heidi Stahl, Schützenstr. 1, 30161 Hannover, Tel. 0511/ 348 10 96




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