Zeiten der Stadt – Ansätze für innovative Zeitangebote in Hannover


vorgestellt von Angelika Ebeling
(Vorsitzende DGB-Kreisfrauenausschuß und Mitglied des projektbegleitenden Arbeitskreises)
und diskutiert auf dem Treffen der PlanungsFachFrauen am 24. September 1998

 



Arbeits- und Betriebszeiten werden immer stärker entkoppelt. Dennoch haben sich bestimmte Zeitstrukturen, vor allem die Öffnungszeiten im Dienstleistungsbereich, nur geringfügig verändert. Diese gehen von einer „Normalarbeitszeit“ und „Normalfreizeit“ aus und basieren damit auf einem Bild der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann, das der heutigen Gesellschaft nicht mehr entspricht:
  • auf der einen Seite ein Mann, der morgens das Haus verläßt, um als Familienernährer acht, zehn oder mehr Stunden seinem Beruf nachzugehen,

  • auf der anderen Seite seine Frau, die genau in dieser Zeit die Kinder und den Haushalt versorgt und alle hiermit zusammenhängenden Aufgaben außer Haus zu erledigen hat.

Dieses Bild, auf das die Zeitstrukturen ausgerichtet sind, trifft allerdings nur für einen sehr kleinen Teil der Gesellschaft zu – in Niedersachsen ungefähr auf ein Zehntel der Frauen.

„Zeiten der Stadt“: Kommunale Zeitpolitik gegen Zeitstreß und Zeitdiebstahl

„Zeitdiebstahl“ durch unkoordinierte Zeiten und Zeitnot erscheinen als Probleme Einzelner, werden aber immer mehr zu einem Problem der Gesellschaft. In Hamburg entstand 1992 die Idee, Zeitpolitik unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten voranzutreiben und innovative Zeitangebote zu entwickeln:

  • Durch neue Zeitkonzepte soll Frauen und Männern eine streßfreiere Vereinbarkeit der Lebensbereiche Beruf, Familie und Freizeit ermöglicht werden.

  • Durch einen Abstimmungs- und Aushandlungsprozeß zwischen „Zeitanbietern“ (Arbeitgeber, DienstleisterInnen, öffentlicher Verkehr etc.) und „ZeitnachfragerInnen“ (Arbeitskräfte, Nutzerinnen von Einrichtungen etc.) soll verhindert werden, daß mögliche Veränderungen von Zeiten zu neuen Zeitproblemen bei einzelnen Beschäftigten führen.

Hamburger Modellprojekt „Zeiten der Stadt“: von der Untersuchung von Zeitbedarfen zur Erprobung neuer Zeitangebote

Im Hamburger Stadtteil Barmbek-Uhlenhorst wurden Zeitsituation und Zeitbedarfe bei Nutzerinnen und Dienstleistungsanbietern systematisch und flächendeckend erfragt. Deutlich wurde: Es gibt eine große Nachfrage nach veränderten Öffnungszeiten in den Bereichen Kinderbetreuung, Einzelhandel, Ämtern und Arztpraxen, vor allem aber nach zeitentlastenden Angeboten (z.B. Stadtteilmensa). Andererseits gibt es bereits eine Fülle an unterstützenden Angeboten, diese sind aber zuwenig bekannt oder an falschen Standorten. Auch viele Betriebe sind an innovativer Zeitpolitik interessiert: Fast alle Klein- und Mittelbetriebe hatten schon mal über veränderte Öffnungszeiten nachgedacht.

Daraus ergaben sich folgende Projektideen (inzwischen überwiegend auch realisiert):

  • Beim Mittagstisch für Grundschulkinder in Kinderbetreuungseinrichtungen erhalten die Kinder ein warmes Essen und können danach zwei bis drei Stunden betreut werden.

  • Es wurden „Orte für Kinder“ geschaffen, zu denen Kinder (im Alter zwischen 18 Monaten und 12 Jahren) innerhalb festgelegter Öffnungszeiten stundenweise oder nur an einzelnen Wochentagen gebracht werden können. Betreut werden sie dort abwechselnd von den beteiligten Müttern (von Vätern konnte leider nichts berichtet werden).

  • In 16 Arztpraxen mit 34 ÄrztInnen werden neue Praxisöffnungszeiten erprobt – sie bieten Sprechzeiten oder Termine frühmorgens, abends und Samstag vormittag an.

Erste Projekte in Hannover

Das hannöversche Projekt „Zeiten der Stadt“ wurde von GewerkschafterInnen initiiert und wird im EXPO-Büro der Gewerkschaften koordiniert. Das Schwergewicht liegt in Hannover auf betrieblichen Projekten. Obwohl „Zeiten der Stadt“ nicht ausdrücklich als Frauenprojekt angelegt ist, betrachten die TrägerInnen den Gleichstellungsaspekt als zentrales Thema. Bisher sind folgende Projekte angelaufen:

  • üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe: Beim Projekt „Bewegung in der Stadt“ des Betriebsrates (Telefon 0511/ 1668-2373) geht es darum, das Nahverkehrsangebot gezielter auf die neuen Zeitbedarfe abzustimmen und den Kunden noch mehr entgegenzukommen.

  • Landesversicherungsanstalt (LVA) in Laatzen: Eine Projektgruppe „Perspektive Teilzeit“ unter Leitung der Personalchefin Danuta Nädler (Telefon 0511/ 829-3605) analysiert die Möglichkeiten von Teilzeitarbeit bei der LVA und will neue Arbeitszeitmodelle entwickeln, die KundInnen und Beschäftigten entgegenkommen.

  • Bei der Medizinischen Hochschule (MHH) - einem Betrieb, in dem rund um die Uhr gearbeitet wird – wurde die Erreichbarkeit der Arbeitsplätze mit dem ÖPNV thematisiert. Zu Projektbeginn waren die Beschäftigten überwiegend mit Autos an- und abgereist, inzwischen konnte das Busangebot optimiert werden.

  • Bei der Landeshauptstadt Hannover geht es bisher vor allem um zeitliche Flexibilisierung für Beschäftigte und Nutzerinnen. Vier Kindertagesstätten werden demnächst Öffnungszeiten verändern.

Der „Megalange Samstag“ im Einzelhandel in der Innenstadt Hannover am 10.10.1998 – ein Beispiel für Auseinandersetzungen um kommunale Zeitpolitik

Auf welche Voraussetzungen stößt eine „megalange Öffnung“ des Einzelhandels an einem Samstag – und welche Wirkungen löst sie aus? Betriebsräte sehen es als ihre Aufgabe, die Beschäftigten vor extremen Belastungen zu schützen. Bei einschneidenden Veränderungen der Arbeitszeit sollte ein Interessenausgleich ausgehandelt werden – unter Berücksichtigung der Situation der VerkäuferInnen.



Wenn VerkäuferInnen länger arbeiten sollen... Fragen von Betriebsrätinnen

Wenn eine Verkäuferin aus Celle am Samstag bis 20 Uhr arbeiten muß – wie kann sie mit Bahn und Bus nach Hause kommen? Wenn schon lange gearbeitet werden muß – wie können Mütter und Väter vor den langen Abwesenheitsheiten geschützt werden? Wie kann ein Ausgleich zwischen den Zeitinteressen der VerkäuferInnen und der VerbraucherInnen hergestellt werden?

Verlängerte Ladenöffnungszeiten: Auswirkungen für Verbraucherinnen

Die Situation von Frauen ist durch veränderte Ladenöffnungszeiten nicht nur auf Seiten der Verkäuferinnen, sondern auch auf der Nutzerinnenseite berührt:

  • Längere Öffnungszeiten scheinen die Verlagerung der Umsätze in die 1a-Lagen der Großstädte und in die Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ zu begünstigen. Diese Verlagerung geht zu Lasten der wohngebietsnahen Läden, der Läden in Stadtteilen und Kleinstädten.

  • Als Konsequenz verlängerter Ladenöffnungszeiten ist ein „öffnungsbedingter Strukturwandeleffekt“ zu erwarten: einerseits eine Verlagerung zu Lasten des mittelständischen Facheinzelhandels, andererseits eine weitere Zentralisierung und Verringerung von Standorten innerhalb der jeweiligen Betriebstypen. Geschäfte außerhalb der zentralen Lagen werden zu Lasten von privilegierten Standorten „geopfert“.

  • Der Verdrängungswettbewerb wird durch längere Öffnungszeiten noch intensiviert. Wenn zum „Preiskrieg“ noch ein aggressiver Öffnungswettbewerb hinzukommt, ist der Mittelstand auf breiter Front existentiell gefährdet. Zu befürchten ist ein „öffnungsbedingtes Ladensterben“.

(Auszug aus dem Rundbrief „PlanungsFachFrauen Hannover“ November 1998)

Zum Weiterlesen:

  • Sabine Issa: Zeiten der Stadt. Forschungs- und Modellprojekt des Senatsamtes für die Gleichstellung Hamburg.
    In: Deutscher Städtetag – Frauen verändern ihre Stadt. Arbeitshilfe 3: Stadtentwicklung, Köln 1998, 155 – 158.
    Die Arbeitshilfe kann zum Preis von 39,50DM
    (beim DST, Lindenallee 13-17, 50968) bestellt werden.
  • Internet-Seite „Frauen“ der Metropolregion Hamburg: http://www.hamburg.de/MR/frauen/zeiten.htm
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