Forschungsprojekt "Neukonzeption öffentlicher Räume im europäischen Vergleich"
- Zwischenergebnisse -

von Dipl. Ing. Silke Claus, IAP Universität Hannover

 




Rundbrief PlanungsFachFrauen März 2000 (Kurzfassung)




 
  • Wie sehen Stadträume aus, die nicht nur der Erholung, sondern auch der Kommunikation dienen?
  • Wie können in Stadträumen Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und freien Meinungsäußerung geschaffen und so die sozialen Bezüge intensiviert werden?
  • Wie können Stadträume aussehen, in denen Synergien für ökonomische und kulturelle Innovationen entstehen, und die auch emanzipatorische Bedeutung haben?

Nach solchen Projekten wurde im Forschungsprojekt "Neukonzeption städtischer öffentlicher Räume im europäischen Vergleich" des IAP gezielt gesucht (siehe auch Vorstellungen vom öffentlichen Leben).

Neukonzeption städtischer öffentlicher Räume: Ausdruck neuer Leitbilder für die Stadtplanung

Bei der Suche nach geeigneten Forschungsprojekten fiel auf, daß alle ausgewählten Plätze oder Parks auch Teil einer besonderen, übergreifenden Stadtplanungsstrategie waren. Mehrere europäische Städte haben sich in den letzten Jahren dem Thema Neukonzeption und Aufwertung ihrer öffentlichen Freiflächen in größerem Umfang gewidmet: z.B. Paris, Nimes, Lyon und Nantes in Frankreich; Rotterdam und Bergen in den Niederlanden; Barcelona und Bilbao in Spanien. Diese Städte verfolgen mit der Initialisierung von Projekten zum öffentlichen Raum eine gesamtstädtische Strategie. Diese Art von Stadtmodernisierung geht weit über die Erhöhung der Repräsentativität der Innenstädte hinaus, auch geht es um mehr als nur ästhetische Fragen. Gefordert ist mehr als ein neuer Anstrich, eine neue Möblierung von Straßen und Plätzen:

  • eine Kombination aus Gestaltungsansätzen und gezielter Angebotsentwicklung
  • eine Initiierung von Aktivitäten und neuen Nutzungsschwerpunkten, die sich an aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und Ansprüchen orientiert.

Wie tragen alternative Ansätze bei der Konzeption städtischer Quartiersplätze zur gleichberechtigten Raumaneignung - insbesondere der Geschlechter – und zur sozialen Kommunikation und Interaktion bei?

Untersucht wurden fünf städtebauliche Projekte in Berlin, Barcelona und Paris, in denen innovative Strategien und Konzepte bei der Konzeption öffentlicher Räume zum Tragen kommen. Gefragt wurde u.a.:

  • Welche Strategien und Konzepte in räumlicher Planung und Gestaltung unterstützen soziale und kulturelle Interaktion und Kommunikation und die Wahrnehmung von Differenz?
  • Welche Strategien und Konzepte fördern eine gleichberechtigte Teilhabe an öffentlichen Räumen, auch von Frauen?
  • Welche Strategien und Konzepte leisten einen Beitrag für Sicherheit in öffentlichen Räumen?

Alle Projekte befinden sich in sozial gemischten innerstädtischen Quartieren. Es handelt sich um öffentliche Räume des Alltags, um Quartiersräume ohne zentrale oder gesamtstädtische Funktion. Gemeinsam ist ihnen:

  • Sie alle weisen sowohl Aktionsflächen als auch Rückzugs- und Ruhebereiche auf.
  • Auf allen Projekten finden wir eine Mischung zwischen nutzungsoffenen und nutzungsgebundenen Gestaltungselementen und Flächen.
  • Es gibt eine Mischung aus Grünbereichen und "harten" Bereichen, die unterschiedliche atmosphärische Qualitäten erzeugen.
  • Wo es in den Projekten Bereiche mit unterschiedlicher Funktionszuschreibung gibt, sind sie nicht additiv nebeneinandergestellt, sondern in ein Gesamtsystem eingeordnet.

Beispiel Barcelona "Jardines de la Industria"

In Barcelona sind die öffentlichen Räume eng mit der politischen Aufbruchsstimmung seit dem Ende der Diktatur verbunden. Sie sollen Orte einer demokratischen Stadtöffentlichkeit sein; Orte, an denen aktive Bürger, die sich die Quartiersplätze und –parks z.T. selbst erkämpft haben, zusammenkommen und ihr Recht auf Erholung, aber auch auf politische oder kulturelle Betätigung ausüben. Deswegen fehlt auf kaum einem Projekt die Bühne oder die nutzungsoffene zentrale Fläche, auf der Feste gefeiert oder Veranstaltungen abgehalten werden können. Bei beiden untersuchten Projekten waren um diese zentrale Aktionsfläche herum nutzungsoffene Sitzgelegenheiten und Beobachtungsstandorte angeordnet.

Im Widerstreit zwischen empfindlichem Grün und alltäglichen Nutzungsansprüchen wird meist pragmatisch zugunsten der Nutzung entschieden. Das Verhalten der NutzerInnen wird von "ungeschriebenen Regeln" von Disziplin und gegenseitiger Toleranz gesteuert, von einem Konsens, der auf einer starken positiven Identifikation der Nutzerinnen mit den Projekten, mit ihrem Quartier und mit der Stadt insgesamt beruht.

Die Jardines de la Industria entstanden 1990 auf einer Gewerbebrache, waren Resultat einer Politik der 80er Jahre zur Wohnumfeldverbesserung. Der Platz zeichnet sich durch eine außerordentlich differenzierte Gestaltung der Beziehung zwischen Rand und Zentrum aus: Die zentrale Sandfläche ist leicht terassiert und nimmt einen Kinderspielplatz, Tischtennisplatten sowie verschiedene Bänke und einige Bäume auf. Die inneren Ränder zu den Gebäuden sind in verschiedenen steinernen Materialien ausgeführt und beinhalten verschiedene Sitzmöglichkeiten und Podeste zum Beobachten des Geschehens oder als Tribüne für Aktivitäten und Kundgebungen. Zu den beiden Straßen hin wurden leichte Wälle aus rotem Backstein ausgebildet, die abschirmen, ohne vom Quartiersraum abzugrenzen. Nach innen rahmen den Platz zwei ansteigende Rasenflächen. Der Platz hat einen hohen Anteil nutzungsoffener Flächen und Raumelemente; funktionsgebunden sind nur der Kinderspielplatz und die zwei Cafés.  

Zwischenergebnisse des Projektes Industria: Nutzungsvielfalt

Kartiert wurde beispielsweise die Anwesenheitsdichte zu verschiedenen Zeitpunkten - nach Geschlechtern differenziert. Es läßt sich so zeigen, wie sich Männer und Frauen den Platz in unterschiedlicher Weise aneignen. Jungen und Männer sind eher aktiv und raumgreifend, indem sie Ballspiele auf der zentralen nutzungsoffenen Fläche oder Tischtennis spielen. Die Teilhabe der Frauen weist ruhigere Handlungsformen auf, die am Rand der nutzungsoffenen Fläche anzutreffen sind.

Wesentliche Aneigungsräume für Frauen unterschiedlichen Alters sind neben den Bänken die beiden Cafés am Platz. Die Interviews gaben Hinweise auf die herausragende Bedeutung dieser Orte für die überproportional hohe Anwesenheit von Frauen: Entspannung und Genuss in einem geschützten Raum; Teilhabe am öffentlichen Leben, ohne zu exponiert zu sein; Verbindung von Kinderbeaufsichtigung und "für sich" sein.

Auf den nutzungsoffenen Flächen verdrängen die männlichen Kinder und Jugendlichen durch ihre raumgreifenden Bewegungsaktivitäten (Fußball) weibliche Nutzerinnen. Generell ist in den Jardines de la Industria die Gruppe der Mädchen zwischen 11-13 deutlich unterrepräsentiert. Erobert haben sich die Mädchen lediglich eine eher kärgliche Durchgangsnische. Mädchen ab 13 fehlen fast völlig auf dem Platz.

Zwischenergebnisse Industrias: Interaktion und Kommunikation

Frauen hatten in den Interviews in der Mehrzahl sachliche Gründe dafür angeführt, warum sie sich im öffentlichen Raum befinden: die Betreuung von Kindern, das Ausführen des Hundes. Im Gegensatz dazu führten Männer eher die Erwartung nach Begegnung und Kommunikation als Anlaß für ihren Aufenthalt im öffentlichen Raum an. Die Beobachtung deckte einen eklatanten Widerspruch zwischen dem Selbstbild und dem tatsächlichem Verhalten auf: Bei Frauen wurde (besonders im Umfeld der Kinderspielflächen) sehr häufig Kommunikation und Interaktion beobachtet. Frauen trafen sich auffällig häufig an Stellen, an denen die größte Interaktionsdichte zu verzeichnen ist: an den Schnittstellen zwischen Aktions- und Rückzugsflächen. Hier traten gehäuft auch unvorhergesehene Interaktion und Kommunikation zwischen Unbekannten auf. Entgegen ihren formulierten Erwartungen nutzen die Frauen die Jardines sehr wohl für Begegnungen - auch mit unbekannten Personen.

Männer hingegen (besonders junge Väter mit kleinen Kindern) nutzten den Raum entgegen ihren Selbstaussagen nicht vorrangig als Begegnungsort, sondern traten eher als Einzelgänger (in das Spiel mit ihren eigenen Kindern vertieft) auf. Kommunikation fand bei den Männern in der Regel nur in Verbindung mit Aktivitäten aus dem "typisch männlichen" Verhaltensrepertoire statt, z. B. beim Ballspiel mit älteren Kindern oder Boulespiel unter älteren Männern.

Bestimmte Gestaltungsansätze scheinen der Kommunikation und der Berührung mit dem "Fremden" sehr förderlich zu sein:

  • Dazu gehört die Verbindung des Quartierplatzes mit einer übergeordneten Wegeführung. Das "Streifen" des öffentlichen Raumes im Zusammenhang mit Alltagswegen löste zahlreiche soziale Interaktionen aus: Viele Fußgänger oder RadfahrerInnen blieben stehen, verweilten und beobachteten die verschiedenen Aktivitäten auf dem Platz.
  • In Bereichen, die sowohl Beobachtung, ruhiges Verweilen, als auch bewegungsintensive Aktivitäten zulassen, entstanden besonders viele der (im Projekt besonders beobachteten und kartierten) direkten Kommunikationsanlässe zwischen sich "fremden" Personen.

Ein Abschlußbericht über das Projekt ist im Sommer 2000 vorgesehen. Das Projekt wurde bearbeitet von Prof. Dr. Ursula Paravicini, Dipl. Ing. Silke Claus, MA Andreas Münkel und Dr. phil. Susanna von Oertzen.




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