Vorstellungen vom öffentlichen Leben: Öffentliche Räume und ihre Aneignung

von Dipl. Ing. Silke Claus, IAP Universität Hannover

 




Rundbrief PlanungsFachFrauen März 2000 (Kurzfassung)





Welche Formen öffentlichen Lebens finden wir heute vor? Welchen Stellenwert haben die unterschiedlichen Ausdrucksformen öffentlichen Lebens? Welche Formen öffentlichen Lebens wollen wir überhaupt?

Privatisierte öffentliche Räume – Isolierung zwischen verschiedenen Personengruppen

Öffentliches Leben koppelt sich heute eng an Freizeitqualitäten und Bedürfnisse. Für verschiedene Interessen werden privatisierte oder teilprivatisierte "Massenangebote" organisiert, die in speziell dafür vorgesehenen Räumen stattfinden: open air-Konzerte, Freizeitparks, Erholungscenter u. ä. – sie erfreuen sich eines enormen Zulaufs. Öffentliches Leben organisiert sich zunehmend szenenorientiert oder interessengeleitet und bedeutet so in der Regel eine Isolierung verschiedener Personengruppen von anderen. Neben sozialen Ausschlusskriterien (wie Geldmangel oder unpassender Bekleidung beim Diskothekenbesuch) spielen auch die divergierenden Interessen eine Rolle. Ältere Menschen haben unter Umständen kein Interesse an Rockkonzerten. Sie treffen sich dann vorwiegend mit ihresgleichen, in eigens dafür geschaffenen Umgebungen, zu denen andere wenig Zutritt haben oder haben wollen.

Diese privatisiert organisierte Öffentlichkeit entspricht nicht nur ökonomischen Interessen. Viele Menschen haben Berührungsängste in einer zunehmend komplexer werdenden Umwelt und gestalten sich einen Alltag, der die Begegnung mit dem Fremden, dem Unerwarteten, dem möglicherweise Bedrohlichen weitgehend ausschließt – vorausgesetzt, sie verfügen über die finanziellen Möglichkeiten.

Kontrollierte "öffentlicher Räume" für wohlhabende Gruppen - unwirtliche öffentliche Räume in benachteiligten Quartieren

Den kontrollierten und privatisierten öffentlichen Räumen stehen im Extremfall unwirtliche, von Unsicherheit geprägte öffentliche Räume in benachteiligten Quartieren gegenüber. Auch innerhalb dieser findet Ausgrenzung statt: Hier können sich Frauen oder Kinder zu bestimmten Tageszeiten nicht hinaus wagen; die Angst vor Kriminalität oder den Übergriffen randalierender Gruppen schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Hinzu kommt häufig eine Vernachlässigung in der Gestaltung dieser öffentlichen Räume, die eine Benutzung zusätzlich unattraktiv bis unmöglich machen - obwohl gerade in diesen Quartieren ein hoher Bedarf an Treffpunkten, Erholungsräumen und Ausweichmöglichkeiten im "Freien" besteht.

So entwickeln sich durch soziale Polarisierung und die Instrumentalisierung von Freizeitinteressen räumliche Inseln in der Stadt, die nicht mehr allen frei zur Verfügung stehen. Öffentliches Leben ist hier nur eingeschränkt möglich.

Einseitige Orientierung in der Gestaltung der öffentlichen Stadträume

Bei der Konzeption und Gestaltung der frei zugänglichen öffentlicher Plätze, Parks oder Straßenräume ist seit der Nachkriegszeit ebenfalls eine starke Orientierung an den Konsum- und Freizeitinteressen zu beobachten. Die meisten öffentlichen Plätze, Parks oder Straßenräume sind ausgelegt für "Erholung, Spiel und Spaß"; ausgespart werden die Aspekte Kommunikation, Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen. Grünbereiche und Parks sind so vor allem den Regenerations-, Erholungs- und Freizeitbedürfnissen einzelner Gruppen gewidmet - Konflikt und Begegnung werden vermieden. Diese Orientierung, läßt sich bis in ihre räumlichen Gestaltungselemente zurückverfolgen. Indem private und szenenorientierte, teilkommerzialisierte öffentliche Freiflächen protegiert werden, wird der Funktionalisierung und Entpolitisierung der Gesellschaft Vorschub geleistet.

Stadtpolitik stellt die Weichen - für Ausgleich oder für Spaltung

Im Unterschied zu den privatisierten "öffentlichen" Räumen bilden die frei zugänglichen öffentlichen Straßenräume, Plätze und Parks das Bindegewebe einer Stadt. Deren Planung und Gestaltung liegt noch immer vorwiegend in öffentlicher Hand. Sie bieten so ein Potential gesellschaftlicher Einflussnahme, das jedoch viel zu wenig und häufig ideenlos benutzt wird. Viele Planungen weisen daraufhin, dass entweder einseitige, eindimensionale oder gar keine Vorstellungen vom öffentlichen Leben einer heutigen Stadtgesellschaft vorhanden sind.

Über die politische und gesellschaftliche Bedeutung öffentlicher Stadträume in einer demokratischen Gesellschaft nachzudenken, ist das Hauptanliegen eines derzeit laufenden IAP-Forschungsprojektes: "Neukonzeption städtischer öffentlicher Räume im europäischen Vergleich". Gezielt wurde nach Projekten gesucht, die von den oben beschriebenen Tendenzen abweichen und ein erweitertes Verständnis von Öffentlichkeit und öffentlichen Leben widerspiegeln:

  • Wie sehen Stadträume aus, die nicht nur der Erholung, sondern auch der Kommunikation dienen?
  • Wie sehen Stadträume aus, die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und freien Meinungsäußerung schaffen, die den öffentlichen Diskurs und die sozialen Bezüge intensivieren?
  • Wie können Stadträume aussehen, in denen Synergien für ökonomische und kulturelle Innovationen entstehen, und die auch emanzipatorische Bedeutung haben?

Lesen Sie auch die Zwischenergebnisse des Forschungsprojektes




Design  h2o 1998 / Text © und VISDP Kommunalverband Großraum Hannover Katja Striefler Tel. 0511 - 3661 223, Fax 0511 - 3661 450